Portugal 2022 - auf dem Jakobsweg

Moderne Entwicklungen in der Erlebnispädagogik und deren Umsetzung

 

Seit Jahrzehnten beschäftigt sich der Verein STI mit Erlebnispädagogik im Umgang mit besonders herausfordernden Verhaltensweisen. Dabei ergeben sich immer wieder neue Fragen, welche die Entwicklung unserer Arbeit in der Vergangenheit, beeinflusst haben. Unsere Projekte verstehen sich seit langem als strategische Erlebnispädagogik, da die Wahl des Mediums und der Ziele, individuell entwickelt werden. Diese Methode brachte bereits viele Erfolge, muss aber angesichts neuer Erkenntnisse und Entwicklungen immer wieder evaluiert und weiter entwickelt werden. Ein zentraler Fokus gilt hierbei dem Bereich der Trauma sensiblen Arbeit, da viele unserer Klienten hiervon betroffen sind. Das drei Zonen Modell ist eine unserer Grundlagen in der Umsetzung und Planung, wobei wir erkannt haben, dass bei traumatisierten Personen, die Wohlfühl,- Lern- und Gefahrenzone unterschiedlich ausgeprägt sind.

Durch die permanente, unterbewusste Auseinandersetzung mit den Trauma Sequenzen, können diese KlientInnen nur selten und schwer in der Wohlfühlzone bzw. Komfortzone ankommen. Ein Sprung zwischen der Gefahrenzone und der Komfortzone erfolgt sehr schnell, da der Wohlfühlbereich sehr gering entwickelt ist, der Bereich in dem die Bedrohung sich manifestiert, im Gegensatz sehr stark. Ein Verweilen in der Lernzone ist meist von kurzer Dauer.

Um somit Trauma sensibel arbeiten zu können muss in der Vorbereitung der Projekte sehr viel Sicherheit bei den Teilnehmern ankommen. Es werden sichere Orte generiert. Dies können Rituale und Gewohnheiten sein die etabliert werden, aber auch tragfähige Beziehungen, sogenannte personelle sichere Orte. Als besonders hilfreich hat sich eine starke Partizipation und Transparenz erwiesen. Überraschungen mögen sich zwar spannend anhören, sorgen aber bei traumatisierten Personen schnell für Überforderung. Vorhandene Fähigkeiten und Ressourcen werden in der Planung evaluiert um diese in das Projekt einzubinden. Werkzeuge hierzu finden sich im SEN wieder. Bei der Zielentwicklung, wird in Gesprächen mit den Teilnehmern zum Beispiel mit Hilfe des drei Häuser Modells erarbeitet, welche gelingenden Dinge begleiteten uns, welche lassen wir zurück und was erwartet uns am Ziel. Um aufkommende Sorgen kontrollieren zu können, wird auf diese gezielt eingegangen und es werden, im Vorfeld eines mehrwöchigen Projektes, kleinere Interventionen durchgeführt um die subjektive Sicherheit und das Vertrauen in die begleitenden PädagogInnen zu stärken. Aus diesen Ansätzen aus Traumpädagogik, Lösungsorientierung, Ressourcenorientierung und SEN ergab sich für uns der Arbeitstitel der „Progressiven Erlebnispädagogik“.

 

Beispiel Portugal 2022 „Auf dem Jakobsweg“

Bereits im Frühjahr begann die pädagogische Arbeit mit den Teilnehmern an der heurigen Sommer EP Ende August. Von Beginn an waren die acht männlichen Jugendlichen, im Alter zwischen vierzehn und sechzehn an der Planung beteiligt. Es galt Ängste zu bearbeiten welche zum Beispiel die Anreise betrafen, da Flugangst im Raum stand. Die Wahl des Mediums „Weitwandern“ war eingängig für alle betreffenden Personen. Viele davon kommen aus Systemen, in denen das Wandern am Wochenende lange praktiziert wurde. Eine gewisse physische Grundlagenausdauer konnte also vorausgesetzt werden.

Die 160 km lange Strecke wurde in kleine Etappen aufgeteilt, weit unter den eigentlich üblichen 25- 30 Kilometern auf dem Jakobsweg. Dies und eine Zeitplanung die viele Pausen ermöglichen konnte, gab einem Gefühl der Überforderung wenig Raum. Laufende Auseinandersetzung mit dem Weg, der Ausrüstung, den begleitenden PädagogInnen und den angestrebten Zielen, verhinderte das Aufkommen von Widerstand. Im Jahr 2022 gelang uns auch eine Umsetzung, was den Zugang zu Mobiltelefonen und Internet während der drei Wochen betraf, welche wir als durchaus zeitgemäß erachten. Es wurden mit den Jugendlichen Grundregeln erarbeitet, unter deren Einhaltung eine durchgängige, eigenverantwortliche Nutzung erlaubt war. Um einen Umgang mit diesen Technologien zu fördern wurden Tagesaufgaben gestellt wie Fotos zu sammeln, den Weg zu finden, oder aber auch die nächste Unterkunft. Die Jugendlichen mussten sich im Vorfeld darum kümmern wie sie in Portugal und Spanien mit ihren mobilen Daten umgehen und wie es auch bei Nächtigungen unter freiem Himmel möglich sein würde die Geräte wieder zu laden. Handy, Tablet und Co sind für viele junge Menschen Rückzugsorte in eine virtuelle sichere Welt. Gleichsam sind sie auch das Medium über welches soziale Kontakte gepflegt werden. Einen Zugang zu sehr zu beschränken oder gar gänzlich zu verbieten erscheint uns aus Trauma pädagogischer Sichtweise kontraproduktiv.

Während des Gehens waren es meist Metaphern abgeleitet aus der natürlichen Umgebung, die uns beschäftigten. So etwa der starke Gegenwind während der ersten beiden Etappen oder die gewaltigen Wellen des Atlantiks. Auch die meditative Wirkung des langen Weges und der Fokussierung auf jeden einzelnen kleinen Schritt reichten aus, um genügend Ablenkung von der virtuellen Welt zu liefern. Die nach wie vor bestehende akute Waldbrandgefahr, unterstütze uns dabei an Themen wie zum Beispiel Achtsamkeit arbeiten. Im Umgang mit Land und Leuten ergaben sich viele Situationen, welche in Reflexionsrunden, basierend auf den bereits erwähnten Metaphern aufgearbeitet und positiv abgeschlossen werden konnten. Die kausalen Zusammenhänge aus eigenem Verhalten und Reaktion des äußeren Systems wurden schnell transparent.

Um nach besonders anstrengenden Etappen, oder Situationen wieder in eine positive Grundstimmung zu gelangen, war es uns bereits in der Planung ein Anliegen, auch dem Spaß und der Ausgelassenheit genügend Raum zu geben. Viele Pausen am Meer, bei denen gebadet und herum getollt werden konnte, begleiteten uns auf dem Weg. Es ging hierbei aber nicht nur um das Gleichgewicht aus Anspannung und Entspannung, sondern auch um eine weitere Förderung des positiven Beziehungsaufbaus zwischen dem Team und den Teilnehmern.

Die Sommer EP 2022 war aus unserer Sicht ein voller Erfolg und brachte zum einen viele weiterführende Perspektiven für die Klienten und zum anderen bestätigte sie unsere Hypothesen und Theorien, wie eine moderne, Trauma sensible und progressive Erlebnispädagogik heutzutage aussehen kann. Unser ständiger Drang am Puls der Zeit zu bleiben und unsere moralische Verpflichtung unseren Jugendlichen gegenüber drängen uns  dazu, auch im Jahr 2023 in diese Richtung weiter zu gehen. Da dann vielleicht nicht auf dem Jakobsweg, aber ganz sicher mit dem Ziel unsere Arbeit beständig weiter zu entwickeln.